liebeskummer
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Wer unter körperlichen Schmerzen leidet, greift schnell mal zu einer Schmerztablette. Mittel wie Paracetamol und Ibuprofen sind schließlich in jeder Apotheke frei erhältlich. Aber haben Sie schon einmal überlegt, Schmerztabletten auch gegen Herzschmerz einzusetzen?

Sehnsucht, Zurückweisung, Liebeskummer: laut aktuellen Studien helfen Schmerzmittel wie Ibuprofen und Paracetamol nicht nur bei Rückenschmerzen oder Kopfweh, sondern können auch seelisches Leid lindern. In dem Fachmagazin „Policy Insights from the Behavioral and Brain Sciences“ wurden von Hirnforschern und Psychologen gleich mehrere Studien zu diesem Thema zusammengefasst. Insgesamt zeigte sich: seelische und körperliche Schmerzen aktivieren dieselben Hirnregionen. Physischer und sozialer Schmerz überlappen sich also – und deswegen sollen Analgetika auch bei Herzschmerzen Linderung verschaffen.

 

 

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Soziale Zurückweisung aktiviert das Schmerzzentrum

 

Erste Ergebnisse zu dem Thema fanden sich durch Zufall bereits um die Jahrtausendwende herum. US-Wissenschaftler untersuchten die Reaktionen des Gehirns auf soziale Isolation, also Zurückweisung und Ausgrenzung. Versuchspersonen nahmen an einem virtuellen Ballspiel Teil, bei welchem sie und angeblich zwei andere Probanden sich online Bälle zuspielen sollten. Tatsächlich war das Spiel jedoch so programmiert, dass die Versuchsperson nach einigen Ballwürfen systematisch von dem Spiel ausgeschlossen wurde. Darauf reagierte das Gehirn der Teilnehmer, indem der ACC (anterioren cingulären Cortex) aktiviert wurde – der gleiche Teil des Gehirns, der bei körperlichen Schmerzen reagiert.

 

 

 

2010 wurde schließlich erstmals der Einfluss von Schmerzmitteln darauf untersucht, wie stark Menschen auf emotionale Rückschläge im Alltag reagieren. Bei dem Versuch zeigte sich, dass Frauen weniger darunter litten, aus dem virtuellen Ballspiel ausgeschlossen zu werden oder Erinnerungen an eine Trennung niederschreiben zu müssen, wenn sie vor dem Versuch Ibuprofen eingenommen hatten.

 

Weniger Empathie durch Paracetamol und Co.

 

Doch nicht nur das Empfinden von eigener sozialer Zurückweisung wird geschwächt; scheinbar lassen die Tabletten auch den Schmerz anderer Menschen unbedeutender aussehen. Probanden, die Paracetamol eingenommen hatten, zeigten sich in der Regel deutlich weniger betroffen, wenn sie Berichte über leidvolle Erfahrungen anderer Menschen lasen. Dabei war es egal, ob die Personen unter körperlichen Schmerzen litten, sich zum Beispiel in den Finger geschnitten hatten, oder sich gedemütigt oder ausgegrenzt fühlte.

Schmerzmittel sorgen also nicht nur dafür, dass wir gleichmütiger auf Demütigungen und seelische Verletzungen reagieren, sondern lassen auch unser Mitgefühl gegenüber anderen Menschen abnehmen. Doch so ganz einig ist die Wissenschaft sich noch nicht, wie auf diese Erkenntnisse reagiert werden sollte. Steigt das Suchtrisiko der Tabletten, wenn bekannt wird, dass sie auch bei Liebeskummer und Co. helfen und macht sie so gefährlicher? Oder sollte lediglich der Beipackzettel der Medikamente ergänzt werden um Fieber, Kopfschmerzen, Zahnweh – und seelisches Leid?

Steffen Gruss
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