Gesundheitsthemen

Wann ist alt ‚alt‘?

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Man ist so alt wie man sich fühlt

 

Doch da gehen die Meinungen auseinander. Altsein liegt oft in der Wahrnehmung des Betrachters. So bezeichnen Jugendliche 30-Jährige oft schon als Oldies und 50-Jährige als alte Menschen. Das geht so weit, dass gewisse Kreise fordern, den Menschen, die über 60 Jahre alt sind, das Wahlrecht zu entziehen.

So schreibt die taz im Juni 2019: „Rentner, gebt das Wahlrecht ab! Und den Führerschein gleich mit. Denn für beides gilt: Die Alten gefährden die Jungen. Was wir brauchen, ist eine Epistokratie der Jugend.“

Mit dieser radikalen Meinung ist der Autor dieser Zeilen nicht allein. Schon in der Antike gab es ähnliche Ansichten, wie wir später sehen werden.

Wobei ein Alter von mindestens 60 Jahren im Altertum als ein weises Alter galt und das zurecht.

Solon, Athens erster großer Staatsmann, unterteilte die Lebensdauer in Zyklen zu je sieben Jahren (Hebdomaden). Die durchschnittliche Lebenserwartung legte er auf zehn Jahrsiebente fest. Das Altern begann nach seiner Auffassung mit dem Anfang des neunten Jahrsiebent, also mit 56 Jahren.  

Ähnlich dieser Beobachtung ist im Psalm 90,10 zu lesen: Die Fülle unserer Jahre ist 70, bei guter Kraft auch 80. Dies entsprach einer weit verbreiteten Meinung in der Antike. 

Die Schwelle zum Alter lag hier bei sechzig Jahren, wovon das lateinische Wort ‚Senat’ kündet, in den ursprünglich nur die über 60-Jährigen gelangten. Das absolute Maximum an Lebensdauer vermutete Tacitus bei 120 Jahren . 

Das Hauptproblem lag in der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit. Antike Zeugnisse bekunden, dass diejenigen, die diese Hürde überlebten mit einer normalen Lebensdauer rechnen konnten.

Im alten Rom belegen zahlreiche Gesetzestexte, dass römische Kaiser den Prototypen eines Rentners geschaffen hatten. Mit 60 oder 70 Jahren konnte der öffentliche Dienst beendet werden. Der römische Jurist Ulpian (3. Jh. n. Chr.) beschreibt in seiner Lebenserwartungstabelle ein Höchstalter von 67 Jahren. 

Ähnlich Solon unterschied der Römer Marcus Terentius Varro (1. Jh. v. Chr.) fünf Lebensphasen: Kindheit, bis zum 15. Lebensjahr, Jünglingsalter bis zum 30. Lebensalter, reifes Mannesalter bis zum 45. Lebensjahr, älteres Mannesalter bis zum 60. Lebensjahr und das Greisenalter ab dem 60. Lebensjahr. 

In Sparta schied der Spartaner mit dem 60. Lebensjahr als geachteter Mann aus dem aktiven Wehrverband aus. 

Heute schickt man einen Bundeswehroffizier schon mit 54 Jahren bei vollen Pensionsbezügen in den Ruhestand, was den Schluss zulässt, dass die Soldaten der Antike trotz oder gerade wegen ihres körperlichen Kampfeinsatzes fitter als der heutige Soldat waren. 

Politisch bemerkenswert scheint mir die Einstellung der Athener zu den Ruheständlern. Aristoteles  spricht den Ruheständlern das uneingeschränkte Bürgerrecht ab, da diese von den Bürgerpflichten befreit seien . Perikles  deklassiert die über 60-Jährigen, die weder zeugungs- noch wehrfähig sind, als unnütz. So entschieden in der Politik nur die aktiven, die am Bruttosozialprodukt mitwirkten – eine rein pragmatische, aber recht unsoziale Einstellung im sonst so kulturell und geistig hochstehenden Athen. 

Ganz anders dachten die Römer über den alten Menschen. In Ciceros  Lobrede über das Alter („de senectute“) kann man nachlesen, wie der alte Mensch wegen seiner Verdienste um Staat und Familie geachtet wurde.

In den darauf folgenden Jahrhunderten hat sich in der Einteilung nach Altersgruppen nicht viel geändert. Autoren, wie der heilige Augustinus, Isidor von Sevilla oder Vincent de Beauvais teilten das Leben nach dem Vorbild der Planeten in sechs oder sieben Altersstufen ein. Dante  übernahm von Hippokrates und Avicenna  die Unterteilung in vier Lebensabschnitte, die den Jahreszeiten entsprechen: Die Jugend umfasst den Zeitraum von der Geburt bis zum 25. Lebensjahr. Daran schließt das Erwachsenenalter an, das mit dem 25. Lebensjahr beginnt und mit 45 Jahren endet, gefolgt vom ‚Alter’, das mit 70 Jahren endet und in das Greisenalter übergeht . Die Alten und Greise führten nie zu gesellschaftlichen  Problemen, denn ihr Anteil in der Gesellschaft blieb zu Zeiten Dantes prozentual gleich denen der vorherigen Jahrhunderte. Während zu Solons Zeit der Anteil alter Menschen 5 Prozent nicht überstieg, zeugen Zahlen aus Florenz   des 14. und 15. Jahrhunderts von einem Anteil der über 60-Jährigen zwischen 6 und 15 Prozent.

Unsere Generation zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss sich jedoch darauf einstellen, es spätestens im Jahr 2050 mit einem Altenanteil von etwa 50 Prozent zu tun zu haben. Die Auswirkungen, die daraus entstehen, bedürfen grundlegender Strukturänderungen. Es dreht sich nicht nur um das gesundheitliche Befinden eines Ruheständlers, sondern darum, was er den Staat kostet. Und das, obwohl heute ein sportlicher Sechziger, in Jeans und T-Shirt gekleidet, keineswegs den Eindruck eines Greises erweckt. Wenn vor 40 Jahren ein Sechzigjähriger noch als ‚Opi’ galt und sein Muttchen als ‚Omi’, so hat sich dieses Bild stark gewandelt. Altherrenhosen, biedere Kostüme und dicke Brillengläser in wuchtigen Kassengestellen sind passé, sie mussten einer lockeren und adretten Mode weichen – zum Glück, wie ich finde. Eine zusätzliche Beobachtung kann man heutzutage machen: Während man noch vor 40 Jahren glaubte, die betagte Generation erst entstauben zu müssen, so muss man sie heute zusehends bremsen, denn: Je älter desto doller. 

Gleich wie sich jeder im dritten oder vierten Frühling auch fühlen mag, er ist und bleibt ein Ruhegeldempfänger, der seinen Lebensstil versorgt sehen will. Da sich mit zunehmendem Alter dummerweise auch die Wehwehchen und Krankheiten häufen, werden die Kosten für ein Heer von Rentnern mit steigenden Altersbezügen sowie Kranken- und Pflegekosten kaum bezahlbar sein. Welcher Staat kann sich das leisten? 

Es muss dafür Sorge getragen werden, dass genügend Beitragszahler nachwachsen, sprich die Geburtenrate wieder steigt. Die geringe Neugeborenenrate  und eine Arbeitslosenquote von 5 Millionen bei einer Bevölkerung von 83 Millionen stellen die dringlichsten Aufgaben für die nahe Zukunft dar. Gleichzeitig muss der Trend dahin gehen, länger gesund zu bleiben und weniger Kosten zu verursachen. Jeder sollte sich daher selbst mehr in die Pflicht nehmen und die eigene Gesundheit zielgerichteter fördern. Gesund alt werden, wäre eine feine Sache – den Lebensabend dement im Rollstuhl zu verbringen weniger. Wer möchte schon alt und ungeliebt dahinvegetieren? Wenn wir uns ein höheres Alter mit mehr Senilität als Begleiterscheinung erkaufen müssen, dann stellt sich die Frage, ob es das wert ist? Geht nicht auch hier Qualität vor Quantität? Wo liegt die Grenze für ein Alter, das noch lebenswert ist? 

Wie besingt die Gruppe ‚Alphaville’ dieses Problem doch so treffend im Lied „Forever Young“: Lasst uns jung sterben oder für ewig leben, wir haben nicht die Kraft, aber wir sagen niemals nie. Willst du wirklich für immer leben, für immer jung sein? Es ist so schwer, grundlos alt zu werden. Ich will nicht krepieren wie ein schwindsüchtiges Pferd. Jugend gleicht den Diamanten in der Sonne und die Sonne und die Diamanten sind ewig. 

Für viele scheint es schwierig zu sein, mit Würde alt zu werden, nur die wenigsten verkraften ihr Altern. 

Ähnlich sieht das auch Goethe : Keine Lust ist’s, alt zu werden, es ist Kunst, es zu ertragen. Deshalb rät der Dichter: Lerne alt zu werden mit einem jungen Herzen.

Für das Alter will vorgesorgt sein, nicht nur finanziell, sondern vor allem geistig. Um optimaler planen zu können, müssen der Staat und jeder einzelne wissen, wie sich die Lebenserwartung entwickelt.

Quelle: Andreas Manuel GRUSS:„Gesundheit ist kein Zufall“, 2007

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